Was bedeutet mir Demokratie und braucht es dafür Haltestellen?

Sehr spät bin ich dran… nicht für die Demokratie, aber für die Blogparade des Deutschen Historischen Museums, hier gibt es nähere Angaben dazu. Heute ist schon der letzte Tag und bisher fehlte mir einfach Zeit und Muse, einige der schon zahlreich eingegangenen Beiträte zu lesen, ich werde das aber hoffentlich bald nachholen. Ganz aus meiner Sicht schreibe ich einige meiner Gedanken dazu auf und mache kurz Halt.

Das Thema Demokratie ist für mich ein sich ständig wandelndes Dauerbrennerthema: Demokratie ist von klein auf zu lernen, zu verteidigen und immer wieder neu zu leben. Demokratie ist nicht selbstverständlich, Demokratie braucht Respekt und Verantwortungsbewusstsein aller, Demokratie bedeutet Mühe. Füreinander, miteinander und gegeneinander. Der Feind von Demokratie ist Geschrei und vorschnelles Handeln, Demokratie braucht Streit, aber im konstruktiven Rahmen. Demokratie braucht Lösungsorientierung für eine Zukunft, die Freiheit für den Einzelnen lässt und mit der man sich arrangieren kann. Demokratie bedeutet nicht, dass alle immer einer Meinung sind. Demokratie bedeutet auch Vernetzung mit Menschen möglichst vieler Weltanschauungen, damit man sich überhaupt ein eigenes Bild machen kann.

Demokratie bedeutet mir sehr viel, ich erlebe aber in meiner Heimatstadt, dass sie oft mit Füßen getreten wird von Leuten, die in einer Hassblase leben. Es gibt da zeitweise Plätze, auf denen man nicht mehr um demokratische Lösungen ringen kann, es gibt dort Leute, mit denen man nicht mehr diskutieren kann, weil sie Lösungen vertreten, die ein gemeinsames Miteinander derart beschränken sollen, dass ganze Bevölkerungsgruppen ausgeschlossen werden. Dort wird man beschimpft und als Extremist bezeichnet, wenn man anmahnt, dass alle Menschen ein Recht auf ein Leben in demokratischen Verhältnissen haben. Nicht nur einmal bekam ich schon den Tod gewünscht…

Ich bin nicht nachtragend, aber es fällt mir zunehmend schwer, mich diesen Situationen zu stellen und mit mir geht es vielen so in meiner Stadt. Ich versuche, mich an so vielen Stellen wie möglich zu informieren, analog auf der Straße, in den Institutionen meiner Stadt, meines Landes und digital im Netz. Natürlich kann ich nicht überall sein, aber mit dem Netz und speziell mit Twitter & Co. hat sich mein Horizont enorm erweitert. Ich genieße es, analog und virtuell durch die Welt zu reisen und Kultur und Leute zu entdecken. Daraus ergibt sich mein persönliches Weltbild und natürlich versuche ich, es immer weiter in alle Richtungen zu ergänzen.

Am letzten Sonntag war Wahl. Meine Stadt hat gewählt und auch im Wahlergebnis zeigt sich, wie tief gespalten die Stadt ist zwischen demokratischen, weitausholenden, lösungsorientierten Zukunftswünschen und Lösungsansätzen, die eher demokratiefeindlich, einschränkend und gar beschränkend daherkommen. Beide Seiten halten sich nun die Waage, der Stillstand für mehrere Jahre ist vermutlich vorprogrammiert. Aber so ist das in einer Demokratie. Nun haben alle die Chance, das Beste daraus zu machen.

Erfreulich war, dass ich vor dem Wahllokal in einer Schlange stand! Die Beteiligung war so hoch wie schon lange nicht. Mit manchen Leuten in dieser Schlange kam man ins Gespräch, zumindest Smalltalk. Eine Familie kam, die Kinder sagten beim Anblick der Schlange: „Orrr. Anstehen?“ Die Eltern antworteten: „Seid froh!“ Ja, dass wir demokratisch wählen dürfen auf einem Wahlzettel, der einen Meter lang ist, ist wirklich toll und man sollte froh sein, dafür in einer Schlange zu stehen, ist das doch ein Zeichen, dass viele ein demokratisches Ergebnis wollen. Es gab in meiner Stadt schon Zeiten, da war „Wählengehen“ eben nicht das „Wählengehen“ von heute, da sollte man möglichst fähnchenschwenkend zur Wahlurne treten und am Ende gab es ein Ergebnis von 97,6% für ähmja… Ich durfte damals noch nicht wählen und meine Eltern sagten damals zu mir: „Sei froh!“ Ja, damals war ich froh, die Wende kam und als ich 18 wurde, durfte ich zum ersten Mal mein Kreuz auf einen langen Wahlzettel setzen. Für mich sind diese alten Zeiten abgehakt, aber nicht aus dem Sinn.

Es gibt noch immer Leute in meiner Stadt, in meinem Bundesland, die sind schwer enttäuscht durch die für sie oft existenzvernichtenden Wendejahre, sie sagen, dass man nichts bewegen kann, dass sich nichts ändert, dass man als Einzelner nichts zu sagen hat und sie deshalb nicht wählen gehen. Da kann ich dann nur sagen: „Schlimm, was euch passiert ist, aber Demokratie nicht verstanden.“

Warum es allerdings so viele gibt, denen es materiell gut geht, die aber eine ganz offensichtlich demokratiefeindliche Partei wählen, das ist mir nicht klar. Da frage ich mich wirklich: Wie informieren sich diese Leute? Wem glauben sie? Was erwarten sie? Warum vertrauen sie?

Oft bekommt man keine Antwort. Ja, das ist so. Kein Diskussionswille.

Von anderen bekommt man eine Ladung Hass entgegengeschleudert. Wenn man genauer nachfragt, kommen meist nur persönliche Enttäuschungen zutage. Von Zukunftsideen ist da wenig zu hören.

Und dann gibt es noch welche, die sagen: „Es muss sich etwas ändern und deshalb wähle ich die, weil sich sonst nichts ändert und wenn´s die Demokratie zerstört, ist´s mir auch egal.“ Hm. Da stehe ich echt ratlos da. Manchmal kamen wir an diesem Punkt ins Gespräch, wir unterhielten uns über Probleme dieser Welt, über Menschen, über Befindlichkeiten, über Geschichte, über Zukunft, über Wünsche… oft hieß es am Ende: „Ja, wenn man sich so unterhält, sieht vieles anders aus. Aber in meinem Umfeld sieht das kaum einer so. Wieso ist das so?“ Und dann erzähle ich davon, dass ich viel im Netz unterwegs bin, was ich dort erlebe, lese, höre, sehe. Manches aus dem Netz zeige ich und ich erzähle, dass ich Leute kennengelernt habe, die es ganz ähnlich wie ich sehen oder auch welche, die nicht gerade nett kontra geben. Ich sage, dass es eigentlich wie auf der Straße zugeht, nur eben digital (weltweit) vernetzt. Da kommt dann meist die Antwort: „Naja, im Netz, das sind doch alles keine echten Leute.“ Da lache ich dann und frage, ob ich auch „unecht“ bin. Ganz schnell kommt dann: „Na, Sie stehen ja jetzt vor mir.“ Und wenn ich dann erzähle, dass ich schon viele dieser „Leute im Netz“ ganz „in echt“ traf, einfach, weil wir uns verabredeten, dann ist das Tor schon ein bisschen offen. 😉

Aber dann kommt: „Alles gut und schön, aber ich verstehe davon nichts und das ist mir auch zu kompliziert.“ oder von manchem auf dem Dorf kommt: „Alles gut und schön, aber mit dem bisschen Netz kann ich nicht mal den Fahrplan unterwegs digital lesen und wenn ich mit dem Handy telefonieren will, muss ich in den Garten in die hinterste Ecke gehen, da ist vielleicht gerade Empfang. Wie soll ich denn da Twitternachrichten oder Instagrambildchen anschauen. Hier tut sich ja nichts, Milchkannen haben wir auch nicht. Der einzige Politiker, der hier im Dorf ist, das ist der XYZ, den kenn ich schon ewig und der erzählt uns immer vom Internet, der weiß, was diese Ausländer alles anstellen. Der redet mit uns und DER redet Tacheles!! Den wähl ich!“ Na, den Rest kann man sich ja denken, da ist Demokratie plötzlich sehr weit entfernt.

Das sind echte Probleme. Nur, wie kommt denn nun diese Demokratie zu den Leuten? Auch „zu diesen Leuten“ mein ich…

Es ist oft schwer, unterwegs einfach so ins Gespräch zu kommen. Ein bisschen Smalltalk und bloß nicht hinters Gesicht gucken lassen, das ist groß in Mode, man wird ja so schnell abgestempelt. Überhaupt, überall diese Leute mit den „Wischhändies“, da muss man ja noch aufpassen, dass die nicht ins nächste Auto laufen… „abstempeln“ ist weit verbreitet. Die andere Seite merkt´s vielleicht gar nicht, weil der Blick tatsächlich oft auf das Handy gerichtet ist.

Als ich heute Morgen im Garten vor den regennassen Butterblümchen stand, sie fotografierte und dieses Bild wie jeden Morgen als „Kaffee-Guten-Morgen-schönen-Tag-Bild“ twitterte (um zu zeigen, dass ich auch heute gesprächs- und denkbereit bin), reifte nach einem Twitterthread mit vielen Ebenen die Idee, doch noch in letzter Minute diesen Blogbeitrag zu schreiben. Denn: Wir müssen uns mehr erzählen. Das, was wir in den Social-Media-Netzwerken treiben, müssen wir unter die Leute bringen. Analog. Und wir müssen die Leute dazu bringen, dass sie darauf neugierig werden. Dass sie Dinge selbst anschauen wollen, die wir da teilen, denn viele Kulturleute teilen da unglaublich gute Dinge, die die Gedanken mal wieder in eine andere Richtung fliegen lassen. Wir müssen die Leute dazu bringen, dass sie ihren „einzigen Politiker“ eben so lange nerven bis sie selbst „Netz“ haben und nicht mehr auf die „Internet-Horrorgeschichtenerzählstunden“ angewiesen sind. Denn: Selbst gesehen oder gelesen, ist immer besser als „vom Hören-Sagen erfahren“. Es braucht Offline-Kultur-Insta-Twitter-Haltestellen, an denen wir vor Ort erzählen, was wir im Netz treiben. Wir müssen zeigen, wie dieses Netzwerken funkioniert, denn es gibt da noch immer Berührungsängste. Vielleicht liest dann der eine oder andere bald mit und vielleicht teilt mancher dann sogar mit uns seine Geschichten. Wir brauchen das. Unsere Demokratie braucht das.

Haltestelle sollte das Vorhaben heißen. Als Haltestelle sollte es gut zu erkennen sein. Natürlich braucht es dazu ein Offline-Haltestellen-Schild. Sehr wahrscheinlich werden es Interimshaltestellen, die nur zeitweise in diesem „Offline-Leben“ sichtbar bedient werden, danach werden sie wieder im Internet verschwinden. Wir müssen zeigen, dass dort ein Bus für alle fahren kann, dass man sich dort treffen kann, dass der eine mit dem Bus mitfährt, der andere aber nicht.

In die Mitte des langen Wortes OfflineKulturInstaTwitterHaltestelle habe ich einfach die Dinge gepackt, von denen ich erzählen möchte, so wie ich das online wie offline schon immer tue. Kultur ist einer der Hauptpunkte in meinem Leben, denn Kultur ist der Kitt, der uns verbindet. Ich würde mich freuen, wenn möglichst viele dieser Idee folgen würden, entweder mit eigenen Haltestellen oder als Miterzähler (denn ich bin mir nicht sicher, ob es in meiner Umgebung eine gute Idee ist, an so einer Haltestelle allein zu stehen).

Meine Überlegungen zu solch einer besonderen Haltestelle stehen ganz am Anfang. Die Idee dazu kocht schon lange auf meinem inneren Herd, als die Blogparadenanzeige kam, wusste ich sofort, dass ich darüber schreiben will, dass ich das einmal ausprobieren möchte. Mal sehen, was aus meiner kleinen Idee wird, ob ich Mitstreiter finde, noch muss sie bei mir ein wenig vor sich hin köcheln. Gut Ding will Weile haben, ich bin vielleicht spät dran bei dieser Blogparade und vielleicht auch in Sachen Demokratie in meiner Umgebung… aber aufgeben ist keine Lösung. Ich bin nur ein winziger Tropfen von vielen im großen Fass der Demokratie, daran zu arbeiten geht uns alle an.

5 Antworten auf „Was bedeutet mir Demokratie und braucht es dafür Haltestellen?

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  1. Liebe Susanne,

    das freut mich sehr, dass du bei der Blogparade #DHMDemokratie mitmachst!

    Ja, du hast einiges erlebt, was für Erinnerungen kommen da hoch, wenn es wieder „Schlangen“ vor oder für etwas gibt, oder? Erschreckend, wenn du wegen deiner Haltung bedroht wirst, das darf nicht passieren, leider aber tut es das doch und das aus ganz verschiedenen Richtungen in verschiedenen Kontexten.

    Deine Idee mit der Sichtbarmachung von digitalen Diskussionen ins Analoge finde ich spannend. Über den Hashtag twitterten wir schon. Ich frag mich, ob vielleicht der „Fliegende Salon“ hierzu eine Idee hat?

    Wie immer sehr tiefgreifende Gedanken, die du in Museumsblogparaden ausbreitest, keinen davon möchte ich müssen!

    Herzlich,
    Tanja

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  2. Vielen Dank für die vielen, tiefen Gedanken und Anstösse! Das regt zum Nachdenken an, und das brauchen wir alle mehr! Dein Engagement ist nicht selbstverständlich, wie du schon schreibst, scheuen viele davor zurück ihre Gedanken offen zu teilen. Das brauchen wir aber mehr, wenn wir unsere Demokratie behalten wollen. Auch ich kann davon noch mehr lernen. Danke!

    Gefällt 1 Person

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